Der Schlüssel zur Glückseligkeit


Von Michael Thumser

Tod – und Verklärung? Die Symphoniker stimmen in Hof, passend zu den aufgewühlten Zeitläuften, Musik über die letzten Dinge an. Vor allem mit Werken von Richard Strauss führt Dirigent Hermann Bäumer das Orchester eindrucksvoll übers Lebensende hinaus zu Ahnungen jenseitigen Friedens.
Hermann Bäumer vor den Symphonikern bei ihrem Hofer Konzert am Freitag: In Zeiten des Krieges Musik über Zeiten des Krieges. (Foto: Hofer Symphoniker)
Hof, 24. Oktober – „Ist dies etwa der Tod?“, lässt der 84-jährige Richard Strauss die Interpretin des letzten seiner „Vier letzten Lieder“ singen, „wandermüd“, „im Abendrot“. Etwa – und: ein Fragezeichen; denn was und wie er ist, der Tod, kann niemand wissen, der noch lebt. Der keineswegs nur pessimistische Philosoph Arthur Schopenhauer hielt ihn für einen „inspirierenden Genius“: „Schwerlich würde ohne den Tod philosophiert werden.“ Und schwerlich gedichtet, gemalt – komponiert. Ganz ähnlich hatte zuvor schon Wolfgang Amadeus Mozart gedacht: Er, dem beschieden war, sehr jung zu sterben, war mit 31 Jahren doch altersweise genug, um im Tod einen „der besten Freunde des Menschen“ zu erblicken, mehr noch: „den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit“.

In Zeiten des Krieges, da in der Ukraine und im Heiligen Land hundertfach gelitten und gestorben wird, eröffneten die Symphoniker ihr zweites Hofer Konzert am Freitag mit Musik über Zeiten des Krieges; genauer: mit mythologischer Musik von Mozart und Strauss über Zeiten, da der Trojanische Krieg gerade vorüber ist. In den beiden Instrumentalstücken aus Opern breitet sich folglich die Freude am Frieden aus, in Mozarts Ballettmusik vom Schluss seiner Oper „Idomeneo“ sogar als Triumph. Nur um einen gewonnenen Krieg kann es sich hier handeln, so kraftvoll, wie das Orchester im Festsaal der Freiheitshalle gleich in den ersten Takten mit der Tür ins Haus fällt, frisch und munter wie der helle Tag. Zwar, auch verhaltenere Passagen naiver Beschaulichkeit schiebt Hermann Bäumer als conductor in residence ein, auch heftigere Reminiszenzen an vergangenes Unheil. Doch einer Stimmung der Dankbarkeit, entronnen zu sein, räumt er entschieden den Vorrang ein und ballt sie zur Strahlkraft eines ungebrochenen Maestoso, das er eine begeistert abschließende Schnellstrecke hindurch ans euphorische Ziel treibt.

Traumphasen
Mit „Divertissement“ ist dies Ballett überschrieben und auch so gemeint: als Zeitvertreib, Unterhaltungsmusik zur Zerstreuung. Weitaus substanzieller und nuancierter hat Richard Strauss in seiner (kaum je aufgeführten) Oper „Die Ägyptische Helena“ die posttrojanische Nachkriegszeit ins Innerliche übertragen, zumindest in der schillernden Orchester-„Fantasie“, die Karl Anton Rickenbacher aus Kernelementen des ersten Akts erarbeitet hat. Nicht nach Art eines ‚kleinen Querschnitts‘ durch das Bühnendrama rollt Hermann Bäumer dies Kondensat aus, schon gar nicht als Vokalmusik ohne Vokalisten; vielmehr entwickelt er daraus eine eigenständige symphonische Dichtung von hohem emotionalem Flair.

Mit beängstigendem Gewaltgetöse beginnt sie, worauf der Solo-Oboist, gleichsam auf den Leibern der Gefallenen, ein trostloses Lamento anstimmt. Bald aber dehnen die Musikerinnen und Musiker den spätestromantischen Vollton – mit zwei Harfen – über eine beeindruckend breite Farbpalette hinweg aus, um in Traumphasen schwelgerischer Ruhe einzumünden. Deutliche Themen bemänteln in subtiler Harmonik die kleinasiatisch-orientalische Handlung mit einem gehobenen österreichischen Idiom, das an Strauss’ „Rosenkavalier“ und seine „Ariadne“ erinnert, wenn auch zu einer Vielfalt gravierender Empfindungen intensiviert. Alle oberflächliche Äußerlichkeit, die zuvor Mozarts Tanz-Stück vorantrieb, nimmt der Dirigent zugunsten einer suggestiven Magie zurück, der zuliebe er in der Schlussepisode jede Übertreibung unterbindet. Wahrlich lyrische Musik gelingt den Symphonikern: ein Ton-Poem.

Flacher Puls, stockender Atem
Dem entspricht, weit treffender als die Lustbarkeit aus dem „Idomeneo“, Mozarts „Maurerische Trauermusik“. Während weniger Minuten der Betrübnis leitet das Orchester mit ihr schwermütig in den zweiten Teil des Konzertabends hinüber, im Gestus still gramgebeugt, gelegentlich scharf in den Klageklängen, doch auch mit Aufhellungen, Erleuchtungen. Mithin vermählen sich schon hier „Tod und Verklärung“ unauflöslich, wie sie es an- und abschließend in der gleichnamigen Tondichtung des 25-jährigen Richard Strauss noch drängender tun. Letzte, peinsame Momente eines endenden Lebens gilt es in jenem chef d’œuvre des Programms zu schildern, aber ebenso den Aufstieg in ein Elysium. Ersterbend flach hält der Dirigent den Puls des Orchesters zunächst, mehr stockend als tief lässt er den imaginierten Sterbenskranken todmatte Atemzüge schöpfen. In Wehmutsweisen mischen die Instrumentalisten lichte Momente schmelzenden Sentiments, umgekehrt senken sie Fiebertraumfetzen und Glückssekunden in Dumpfheit zurück; bis rigorose Klangattacken die Qual der Krampf- und Schmerzanfälle auf die Spitze treiben. Immer weltverlorener aber eröffnen sich, wie in einem Abendrot, phantasmagorische Inseln der Beseligung …

Die heikle Aufgabe, jenseits drohender Abgeschmacktheit in der formidablen Komposition das Gleichgewicht von Panik, Pathos und Apotheose zu halten, löst Bäumer grandios – wofür nach den letzten Takten sowohl das Stillschweigen des Publikums in gefangener Ergriffenheit als auch der dann jubelnd ausbrechende Beifall spricht –; schlüssig hat Bäumer die orchestralen Massen komprimiert und ebenso verstanden, sie in aller Wucht und Verve transparent zu halten. So lang es irgend geht, erlaubt er dem dünnen Lebensfaden nicht, zu reißen; der überdauert, aller Schwäche ungeachtet, zumal in konstanten Tiefen von Bässen und Blech, Harfen, Gong, bis er sich endlich befreien darf. Dann löst das Orchester die Verstrickung von Not und Tod und Hoffnung in einen Hymnus an das Leben auf, ans Licht: Vielleicht scheint die Sonne des Friedens in einer posttraumatischen Nachkriegszeit über den Kampfgebieten irgendwann wieder; vielleicht scheint sie im Jenseits ja auch.

Pasticcio
Glückwunsch!

Von Guido Fischer

Für diesen besonderen Konzertabend war eigentlich alles perfekt vorbereitet: Chefdirigent Hermann Bäumer dirigierte am Freitag sein Philharmonisches Staatsorchester Mainz. Und zwischendurch bekamen die Musiker vom „Deutschen Musikverleger-Verband“ (DMV) den undotierten, aber prestigeträchtigen Preis „Bestes Konzertprogramm der Spielzeit“ verliehen. Ein Konzertformat war dafür ausschlaggebend gewesen. Mit dem „Mainzer Komponistenporträt“ widmet man sich nämlich ein ganzes Wochenende lang dem Schaffen einer zeitgenössischen Musikerpersönlichkeit. In dieser Saison hat man dafür die Komponistin und Pianistin Lera Auerbach eingeladen. Und für dieses letzte April-Wochenende hatte Auerbach dementsprechend eigene Werke ausgewählt. Dazu gehörte auch ihr Klavierkonzert, dass sie im Rahmen des Festkonzerts spielen wollte. Aber so kann es eben unerwartet passieren: Lera Auerbach musste krankheitsbedingt ihr Kommen und damit ihre Mitwirkung kurzerhand absagen. Doch statt nun die für das Wochenende anberaumten Konzerte abzusagen, übernahmen nicht nur Kollegen so manchen Klavierpart. Ihr Klavierkonzert wurde gegen ein anspruchsvolles Werk der großen russischen Komponistin Sofia Gubaidulina eingetauscht. Auch solche Repertoire-Entdeckungen aus der Neuen Musik sind es, mit denen sich das von Hermann Bäumer seit 2011/12 hauptamtlich geleitete Philharmonische Staatsorchester Mainz zu einem der vielseitigsten Klangkörper in der bundesdeutschen Orchesterlandschaft entwickelt hat. Und dass man bei aller Hege und Pflege des klassischen Werk-Kanons stets neue Wege sucht und findet, um das vermeintlich Sperrige an das neugierige Publikum zu bringen, unterstreicht eine weitere Konzertreihe. „Auf Wiederhören“ stellt Stücke von Gegenwartskomponisten wie in diesem Jahr von Wolfgang Rihm und Rolf Riehm vor, über die das Publikum abstimmen kann, welches in der kommenden Spielzeit wieder aufgenommen werden soll. Auch für solche Geniestreiche hat man also jetzt den Preis für das „Beste Konzertprogramm der Spielzeit“ erhalten. „Das Philharmonische Staatsorchester Mainz mit seinem Generalmusikdirektor Hermann Bäumer und Orchesterdirektor Wolfram Schätz überzeugt durch die konsequente Arbeit am unverwechselbaren Profil“, so DMV-Präsident Axel Sikorski über die Entscheidung der Jury, diesmal die Mainzer auszuzeichnen. „Die Programmgestaltung bezieht das treue Stammpublikum des Orchesters ebenso ein wie das Publikum der Zukunft“. Vorbildlich.

Tiere sind auch nur Menschen

MAINZ Fabelhaft: Hermann Bäumer dirigiert zum Abschied als Generalmusikdirektor
„Das schlaue Füchslein" von Leoš Janáček als seine letzte Opernpremiere.
Von Volker Milch


Das wahre Tier" kündigt der Dompteur in Alban Bergs „Lu-lu" an und teilt gegen wohlgesittete Haustiere aus, die sich von „blasser Pflanzenkost" ernährten. Als „das wilde, schöne Tier" wird dann die Protagonistin vorgeführt, an die man nun bei einer ganz anderen Opern-Tierschau denken muss. „Das schlaue Füchslein" das eigentlich eine Füchsin oder, jäger-sprachlich korrekter, eine Fähe ist, hat nämlich durchaus eine erotische Ausstrahlung, die auch auf Zweibeiner im Personal von Leoš Janáčeks 1924 uraufgeführter Oper wirkt. Allerdings weniger im Sinn einer verhängnisvollen Femme oder Füchsin fatale als mit Verheißungen der Freiheit eines Naturwesens. Ein harmloses Familienmärchenstück ist dieses Werk mit seinem frechen Libretto und dem glühenden Beziehungszauber der Partitur jedenfalls nicht. Die Mainzer Inszenierung des Spätwerks, die letzte Musiktheater-Produktion der Spielzeit und zugleich Abschiedspremiere des Generalmusikdirektors Hermann Bäumer, arbeitet diese panerotische Wirkung des rostfarbenen Raubtiers in diskreter Deutlichkeit und in der Originalsprache heraus. Nicht nur der Förster, der Schlaukopf zähmen will, auch die Försterin scheint von dieser schönen Füchsin angezogen zu sein. Die Sopranistin Dorin Rahardja beglaubigt diese Wirkung mit der sinnlichen Wärme ihres Timbres und der geschmeidigen Körpersprache eines zunehmend selbstbewussten Waldwesens, das den Menschen entflieht und bei der Familiengründung keinerlei Zeit verliert, wenn es auf den nicht minder attraktiven Fuchs von Karina Repova trifft. In solchen emotionalen Schlüsselmomenten nehmen die Tiere auf der Bühne die Masken ab, die im Orchestergraben ohnehin längst gefallen sind: Im Kreislauf des Lebens, den Janáček zeichnet, sind Schlaukopfs erster Auftritt, ihr brutaler Tod durch Erschießung sowie das finale Erscheinen ihres Nachwuchses eng verbunden. Diese instrumentale Erzählung der Geschichte ist beim Mainzer Staatsorchester und seinem Generalmusikdirektor in den besten Händen: Im Reichtum der Klangfarben und Formen, im kleinteiligen Motivspiel und in großen Tableaus erweist sich Janáčeks Waldweben als fabelhaftes Abschiedswerk, in dem Bäumer alle Register ziehen kann - die Summe aus 14 Jahren fruchtbarer Theaterarbeit. Zum Abschied ist „Das schlaue Füchslein" auch als ein Ensemblestück prädestiniert, inklusive der Chorpartie mit Mitgliedern des Dom- und Mädchenchors. Derrick Ballard ist mit dem Volumen seines wohlkonturierten Baritons ein idealer Interpret des Försters. Von Hotzenplotz-Statur ist auch der Wilderer Harašta, dem Tim-Lukas Reuter seine Stimme leiht. Man wird annehmen können, dass dieser Außenseiter als Alter Ego für jene Freiheiten steht, von denen der Förster insgeheim träumt. Am Ende verkündet der Wilderer auch noch die Heirat mit dem vielbegehrten Mädchen Terynka, das als Phantom und geheimnisvolle Personifikation des Fuchswesens die große Unbekannte des Werks bleibt. Kein Liebesglück ist hingegen dem Pfarrer (Stephan Bootz) beschieden, der auch einen moralisch entrüsteten Dachs geben darf und dabei mit der Eule (Lucie Ceralová) in spießiger Gesellschaft ist. Als Schulmeister ertränkt Alexander Spemann seinen Liebeskummer im Alkohol und ist zudem als zudringlicher Dackel und lang berüsselte Mücke mit großer Spielfreude präsent. Der Ensemble-Charakter dieser Abschiedspremiere wird nicht zuletzt von der ebenfalls „hausgemachten" Inszenierung unterstrichen. Erik Raskopf, hauptberuflich Geschäftsführender Theaterdirektor in Mainz, führt Regie und kann dabei auf den Erfahrungsschatz eines sehr vielfältigen Wirkens zurückgreifen. Unter anderem war er für die Augsburger Puppenkiste und auch als Schauspieler tätig. Seine Inszenierung lässt in sensibler Weise der Musik den Vortritt, ohne in rein dekorative Langeweile zu verfallen. Der Witz steckt im Detail einer Personenführung, die Janáčeks Charaktere ernst nimmt und dabei offensichtlich auch auf die Bildergeschichte zurückgreift, die den Komponisten zur Oper inspiriert hatte: Die Füchsin provoziert in den Zeichnungen von Stanislav Lolek den Dachs, indem sie ihm den Hintern zeigt. Nichts anderes macht Dorin Rahardja ganz frech in ihrer Schlaukopf-Rolle. Einen entscheidenden Beitrag zum Reiz der Produktion leistet das Bühnenbild von Christoph Schubiger, dessen Waldstimmung an den Expressionismus von Franz Marc erinnert. Vielleicht sind auch die hübschen Fuchsmasken, für die Erik Raskopf verantwortlich zeichnet, von dieser Bilderwelt inspiriert. Nicht alle Tiere übrigens tragen Masken. Bei den Hühnern reichen Handtaschen, kollektive Aufregung und ein herrlicher Gockel mit rot gefärbter Elvis-Tolle: Tiere sind halt auch nur Menschen.

Mehr als eine Fabel

Musikalischer Blick ins Tierreich: „Das schlaue Füchslein“ am Staatstheater Mainz
Leoš Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ ist mehr als eine einfache Tierfabel. Die fast hundert Jahre alte Oper hat höchste Aktualität. Denn im gegenwärtigen ökologischen Drama müssen wir immer wieder über das Verhältnis von Mensch, Natur und Tier neu nachdenken. Das Staatstheater Mainz tut dies in einer Neuproduktion, die zugleich die Abschiedsproduktion des scheidenden Generalmusikdirektors Hermann Bäumer ist.

Abstrakter Wald nach Gerhard Richter
In die abstrakten Rakelbilder Gerhard Richters kann man viel hineinsehen. Auch einen impressionistischen, in gelb-grün gehaltenen Lichterdom eines Waldstücks. Das ist der an die Malergröße angelehnte Bühnenhintergrund von Christoph Schubiger für Erik Raskopfs Inszenierung von Leoš Janáčeks Tieroper „Das schlaue Füchslein“ am Staatstheater Mainz. Doch halt. Erleben wir hier wirklich singende Tiere auf der Bühne? Im Grunde ist Janáčeks Ansatz ein ähnlicher wie der von Gerhard Richter: Es muss sich in unserem Kopf zusammensetzen, ob wir singende Tiere erleben oder nicht.

Maskierte Sänger verkörpern Tiere
Die Imagination Janáčeks ist jedenfalls perfekt. Seine Methode, der in die Instrumente übertragenen Sprechmelodien, hat er in diesem Fall auch aufs Tierische ausgeweitet. Entsprechend folgt die Regie solch technisch perfektionierter Imagination. Die Sängerinnen und Sänger stellen Tiere nicht dar, sie verkörpern sie mit schön und genau gearbeiteten Masken. Lediglich die Schar der gackernden, Eier legenden Hühner treten als ziemlich spießiges Damenkränzchen mit Handtäschchen auf. Sie sind auch bei Janacek die am weitesten domestizierten und ihrer animalischen Natur entfremdeten Arbeiterinnen einer Legebatterie. Auch die anarchische Füchsin kann sie nicht befreien, sondern sie nur erwürgen.

Abstrakter Realismus auf der Mainzer Opernbühne
Die Menschen sind in Raskopfs Inszenierung ebenfalls diejenigen, die sie zu sein haben. Zum ersten Orchesterzwischenspiel treten bereits die Försterbuben auf und reißen der Grille kurzerhand den Kopf ab. Das zeigt schon das verständnislose Gebaren des Menschen gegenüber der Natur. Dass die Heuschrecke dann den gemeuchelten Gefährten betrauert, übersteigt ihr Vorstellungsvermögen. Die Welt dieser Tieroper ist weder märchenhaft, schon gar nicht niedlich, sondern gemäß der hier gesetzten Bildwelt abstrakter Realismus.

Hinreißend besetzt: Fuchs und Füchsin
Lediglich Fuchs und Füchsin streifen sich die Masken ab. Denn sie erleben etwas sehr Menschliches: erotische Lust. Tierisch ist schon bei Janacek dann die prompte Schwangerschaft nach dem ersten Mal. Das Paar in Mainz ist hinreißend: Dorin Rahardja als Füchsin ist eine Wucht. Sie hat die ganze Bandbreite vom Kindlich-Mädchenhaften übers anarchische Aufbegehren bis hin zum erstaunten Entdecken sexueller Befriedigung. Und im Fuchs von Karina Repova hat sie die ideale, ebenbürtige Partnerin. Oder doch den Partner? Es ist eben eine Frage der Imagination. Hier gelingt sie ganz fantastisch.

Überzeugende Ensembleleistung
Und auch die so inkompatible Welt der Menschen, gleichsam leid-, lust- und toddurchzogen, wie die der Tiere, ist gleichfalls treffend besetzt mit dem markanten Förster von Derrick Ballard, bei dem doch die Sensibilität der Erinnerung ans längst erloschene Liebesglück immer durchscheint. Und auch die zwischen Mensch und Tier changierende Mehrfachrolle von Pfarrer und Dachs ist bei Stephan Bootz gut aufgehoben, um nur ihn im recht homogenen Ensemble zu nennen.

Hermann Bäumer verabschiedet sich vom Staatstheater Mainz
Hermann Bäumer dirigiert zum Abschied ein nicht einfach zu händelndes Meisterwerk als Wunschprojekt. Er leuchtet jeden Winkel von Janáčeks brillant instrumentierter Collage seiner Sprechmelodien aus und lässt jede Schicht transparent werden, was man so nicht immer gehört hat. Es ist eine wunderbare Visitenkarte für den scheidenden Mainzer Generalmusikdirektor. Denn er wechselt an die Prager Staatsoper, wo Janacek sicher nicht nur Kür sein wird. Sein letztes Dirigat in Mainz zeigt: Er ist der richtige Mann für Prag. Auch wenn er kein Tscheche ist. Aber er hat es im Blut oder sagen wir, er kann es gut imaginieren.

Ein berührender Blick auf Tier und Mensch

Inszenierung von Leoš Janáceks Oper Das schlaue Füchslein" verzaubert im Mainzer Staatstheater mit fantasievoller Ausstattung und starken Stimmen Von Johannes Breckner

MAINZ. Sie sind natürliche Feinde und doch miteinander verbunden. Ohne die Bedrohung durch den listigen Fuchs wäre das Leben des Försters ärmer. Und ohne den Gegenspieler mit der Flinte wäre der Alltag des Füchsleins zumindest viel langweiliger. Wenn Fuchs und Förster auf der Bühne des Mainzer Großen Hauses aufeinandertreffen, gibt es Augenblicke der Vertrautheit, des stillen Einverständnisses in die notwendige Wesensart des Gegenübers. Man kann darin ein Thema von Leoš Janáceks Oper „Das schlaue Füchslein" erkennen, zumal in der doppelt klugen Interpretation durch zwei so angenehme Stimmen. Dorin Rahardja bringt einen natürlich klingenden, klar artikulierenden Sopran mit, um die Charakterentwicklung vom frechen Fuchs-Teenager bis zur mild fürsorglichen Fuchsmutter zu zeichnen. Und dem kraftvollen Bariton von Derrick Ballard ist die gefährliche Schärfe so wenig fremd wie die Melancholie, die diesen Mann gelegentlich packt beim Erleben der naturhaften Kreisläufe, in die er selbst eingebunden ist. Am Ende lassen sie auch einen Neubeginn seiner Ehe mit der Försterin ahnen, kraftvoll gesungen und dargestellt von Lucie Ceralová.

Wo Tiere singen und Menschen Masken tragen
Mit den beiden Hauptrollen hat die letzte Opernproduktion des Staatstheaters vor der Sommerpause ein starkes Zentrum. Das ist ein wichtiger Baustein zum Gelingen, gefolgt von der Ausstattung, die eine entscheidende Rolle spielt, wenn der Wald bevölkert ist von sprechenden, gar singenden Tieren, denen das Stück einen menschlichen Charakter zumutet. Die Mainzer Waldbewohner tragen aufwendig gestalteten Tierkopf zum Menschenkostüm, damit trifft Erik Raskopf als Kostümbildner den fantastischen Charakter ebenso gut wie der Bühnenbildner Christoph Schubiger, dessen wechselhaft ausgeleuchtete Waldkulisse von den Farbarchitekturen Lyonel Feiningers inspiriert scheint. Dass Füchsin und Fuchs, mit voluminöser und warmer Stimme aus gestattet von Karina Repova, die Masken absetzen, wenn sie einander als Liebende erkennen, markiert die ganz selbstverständlich wirkende Durchdringung von Tier- und Menschenwelt. Mit Raskopf hat das Staatstheater einen Geschäftsführer, der auch künstlerisch aktiv ist, mal als Schauspieler, mal als Ausstatter und Regisseur wie in „Hänsel und Gretel". Auch Janá eks „Füchslein" begreift er als poetischen Märchenstoff, den seine Inszenierung mit liebevollen Details aufbereitet. Dem stünde der Ehrgeiz analytischer Durchdringung durchaus im Wege, weshalb Raskopf es bei munteren Aktionen und feinen Stimmungsbildern belässt. Die lampionbekrönte Waldhochzeit sieht aus wie in einem historischen Bilderbuch. Und auch die Szenen im Gasthaus, in dem die Honoratioren einander beim Schnapstrinken necken, haben eine zauberhafte, geradezu verwunschene Atmosphäre. Hier fühlen sich der müde gewordene Pfarrer (Stephan Bootz) und der verklemmt-verdruckste Lehrer zuhause, dem Alexander Spemann in der Rolle des lyrisch ambitionierten Dackels eine besonders hübsche Tierkarikatur beschert. Den Wirtsleuten geben Anke Pfeifer und Scott Ingham markant Stimme und Statur. Das gesamte Ensemble tat Spaß an diesem Kostinfest, darunter auch Tim-Lukas Reuter als wildernder Harašta, der erkennbar nicht zur guten Dorfgesellschaft gehört, oder Samira Schür und Sasou Yolanda van Oordt aus dem jungen Ensemble als Lausbuben, die einem Insekt auch mal mutwillig den Kopf abreißen. Die von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierten Chöre, verstärkt von jungen Stimmen des Mainzer Domchors und des Mädchen-chors am Dom und St. Quintin, agieren einwandfrei und klang-schön. Besonders komisch ist die Szene auf dem Hühnerhof, dessen Hennen aussehen wie aufgeregte Rentnerinnen bein Busausflug. Dass der Beifall nach gut zwei unterhaltsamer Stunden so groß war, ist auch ein Erfolg des Orchesters und von dessen scheidendem Chef Hermann Bäumer, der zum Ende der Spielzeit Mainz in Richtung Prag verlässt, dann auch mit der Peter-Cornelius-Plakette im Gepäck, einer bedeutenden Auszeichnung des Landes Rheinland-Pfalz. Der Abend machte deutlich, warum man ihn vermissen wird. Dem Philharmonischen Staatsorchester gelang eine plastische, klangdichte, sehr bewegliche Wiedergabe dieser immer wieder überraschenden Partitur, mit intensiven Zwischenspielen, satten Bläserfarben und feinen Schattierungen. Bäumer präsentierte eine Musik, die auf einer eigenen Erzählebene bisweilen reicher schien, als der bunteste Wald es sein kann.